«Einen Hype gibt’s nicht auf Bestellung»

20. Mai 2020

Das Nidwaldner Luxushotel Villa Honegg und sein Infinity-Pool wurden vor drei Jahren dank einer Influencerin über Nacht weltweit bekannt. Das Hotel profitiert bis heute vom Hype, musste dafür aber über die Bücher.

Nachdem die brasilianische Influencerin Fabi Gama 2016 auf der Social-Media-Plattform Instagram ein Video über den Infinity-Pool des Hotels Villa Honegg ob Ennetbürgen veröffentlicht hatte, war das Fünf-Sterne-Superior-Hotel plötzlich weltweit in aller Munde. Seither sind alleine auf Instagram über 20 000 Beiträge mit dem Hashtag #villahonegg veröffentlicht worden und die Villa Honegg ist weltweit eine Referenz, wenn es um Social-Media-Hypes geht.

Philipp Tschumi, stv. Gastgeber des Luxushotels Villa Honegg, spricht über den Hype, den ein Insta-Post ausgelöst hat.

Drei Jahre sind im Social-Media-Zeitalter eine lange Zeit. Inwiefern ist der «Gama-Effekt» in der Villa Honegg heute noch spürbar?
Philipp Tschumi: Wir werden auch heute bei unserer täglichen Arbeit noch regelmässig daran erinnert. Manchmal fühlt es sich so an, als ob wir das erste Hotel weltweit gewesen wären, dass durch Social Media einen Hype erlebt hat. Sogar Studenten befassten sich in ihren Abschlussarbeiten mit «unserem» Fall, gingen unter anderem der Frage nach, ob ein Tourismus-Hype steuerbar ist.

Und, ist der Hype steuerbar?
Unsere Mitarbeiterin, die diese Arbeit an der HFT Luzern geschrieben hat, kam zum Fazit, dass ein Hype nicht auf Bestellung erfolgen, in gewisser Hinsicht aber gesteuert werden kann. Man kann also besser und weniger gut mit einem unverhofften Hype umgehen. Uns war es beispielsweise von Anfang an wichtig, dass wir nicht anfangen, unser Kerngeschäft zu vernachlässigen. Schlussendlich stammen die meisten unserer Gäste weiterhin aus der Schweiz, buchen uns als Seminarhotel oder besuchen einfach das Restaurant.

Stört es Sie nicht, dass das Hotel seit 2016 auf den Pool reduziert wird?
Stören auf keinen Fall. Wir wissen alle, was wir dem Pool zu verdanken haben. Wir setzen aber alles daran, zu zeigen, dass wir mehr sind als «nur» Pool und dass der Kontakt mit unseren Mitarbeitern die nachhaltigste Erinnerung bleibt vom Aufenthalt. Nur so gelingt es auch, neue Stammkunden zu gewinnen.

Können Sie das Ausmass des Hypes in Zahlen fassen?
Während wir früher im Schnitt 40 E-Mails pro Tag erhielten, waren es 2017 teilweise bis zu 400. Auch die Interaktionen auf und die Buchungen über Social Media haben zugenommen. Am erfreulichsten ist aber natürlich der wirtschaftliche Effekt: Während das im Jahr 2011 renovierte Hotel von 2013 bis 2016 im Schnitt zu gut 60 Prozent ausgelastet war, sind es seit 2017 90 Prozent und mehr; 2019 waren es 88 Prozent. Das ist im Vergleich zu anderen Häusern unserer Kategorie ein traumhafter Wert – zumal wir ein Ganzjahresbetrieb sind.

Hat sich auch die Gästestruktur verändert?
Unser Publikum ist internationaler geworden. Während wir früher primär Gäste aus der Schweiz und Mitteleuropa beherbergten, dürfen wir heute vermehrt auch Kunden aus den USA, Asien oder dem arabischen Raum begrüssen. Und einige Besucher aus Übersee, die einst dem Pool-Hype gefolgt sind, gehören mittlerweile zu unseren Stammkunden.

Inwiefern wirkt sich das auf die tägliche Arbeit der Mitarbeiter aus?
Da wir viel mehr Besucher haben, die nur zwei oder drei Nächte bleiben, bleibt weniger Zeit, um den Gast und seine Bedürfnisse kennenzulernen. Und während wir versuchen, die neuen Kunden mit unserer Kultur vertraut zu machen, schulen wir unsere Mitarbeiter in Sachen interkulturelle Kompetenz. Damit die Harmonie mit den Stammgästen nicht aus dem Gleichgewicht gerät, müssen wir beispielsweise wissen, wie man darauf reagiert, wenn das Kind einer fremdländischen Familie das ganze Restaurant auf Trab hält.

Influencer haben heute nicht den besten Ruf und werden gerne als Schmarotzer gebrandmarkt. Insofern überraschen die genannten Fakten …
Mit Blick auf unsere Auslastungszahlen wäre es vermessen, uns zu beklagen. Wir haben aber effektiv nur vereinzelt schlechte Erfahrungen gemacht. Unserer Meinung nach hat sich die Qualität der Influencer-Anfragen seit 2016 klar verbessert, und unverschämte oder völlig irrelevante Anfragen sind klar in der Unterzahl. Mit ein Grund dafür ist sicher, dass die Meinungsmacher sehen, dass wir ihre Anfragen professionell behandeln.

Das heisst, die Villa Honegg arbeitet auch heute noch mit Influencern zusammen?
Heute erhalten wir pro Woche im Schnitt 15 bis 20 Anfragen von Influencern aus der ganzen Welt. Wir prüfen grundsätzlich alle Profile, und im Schnitt kommt es einmal pro Monat zu einer Zusammenarbeit. Die Influencer sollen uns helfen, über unser Stammpublikum hinaus Emotionen zu verkaufen und Reisesehnsüchte zu wecken.

Wie viele Follower auf Instagram muss man haben, um berücksichtigt zu werden?
Die Grösse ist nur einer von vielen Faktoren, die wir berücksichtigen. Voraussetzung ist sicher ein Mediakit mit den wichtigsten Kennzahlen. Generell ist uns sehr wichtig, dass die Bildsprache und die Philosophie zu uns passen. Wer protzt oder unnatürlich auftritt, hat bei uns kaum eine Chance. Sehr relevant für uns ist auch die Geografie. So ist bei Schweizern die reine Followerzahl beispielsweise weniger wichtig als bei Influencern aus Märkten, die für uns eine untergeordnete Rolle spielen.

Was Sie beschreiben, klingt nach einem beträchtlichen Mehraufwand. Wer kümmert sich im Hotel darum?
Der zeitliche Aufwand ist wirklich nicht zu vernachlässigen – zumal wir bei Gästen aus aller Welt zu jeder Zeit mit Kontaktaufnahmen auf unseren Social-Media-Kanälen rechnen müssen. Wir haben als Reaktion auf den Hype eine Mitarbeiterin eingestellt, die sich in einem 50-Prozent-Pensum um die Social-Media-Kanäle kümmert und bei den eingegangenen Influencer-Anfragen eine Vorselektion trifft. Anschliessend entscheiden das Marketing-Team und die Direktion, wer effektiv eingeladen wird.

Mussten im Hotel und insbesondere beim Pool auch neue Regeln aufgestellt werden?
Grundsätzlich gelten für alle unsere Gäste die gleichen Regeln. Falsche Erwartungen von Influencern versuchen wir durch ein klares Briefing bereits im Vorfeld auszumerzen. Wir sahen uns bis jetzt deshalb beispielsweise nicht gezwungen, die Pool-Zeiten zu beschränken. Grenzen gibt es für uns dort, wo andere Gäste gestört werden und der gegenseitige Respekt fehlt. Zum Beispiel kommt es für uns nicht infrage, dass jemand ein professionelles Fotostudio beim Pool aufbaut. Auch Personen, die sich auf einem aufblasbaren Flamingo oder mit 100 Herzballonen im Pool ablichten lassen wollten, erhielten eine freundliche Absage.

Warum verteilt die Villa Honegg bei einer Auslastung von 90 Prozent überhaupt noch Gratisübernachtungen?
Im Gegensatz zu «normalen» Gästen sind Influencer ja nicht nur zur Entspannung bei uns. Wir erhalten eine Gegenleistung, die wir im Vorfeld in der Regel klar definieren. Zudem müssen sie sich auch selbst um die Anreise kümmern. Andererseits müssen wir auch dafür sorgen, dass wir langfristig auch ohne «Pool-Hype» im Gespräch bleiben – es gibt keinerlei Erfahrungswerte, nach welcher Zeit dieser Effekt abklingt. Wir haben trotz der höchst erfreulichen Auslastung auch nicht unsere Marketingabteilung geschlossen. Gerade die regionalen Partner sind und bleiben für uns sehr wichtig.

Was würden Sie anderen Hotels betreffend Umgang mit Influencern raten?
Man sollte sich nicht durch Zahlen blenden lassen und auch auf Social Media seiner Linie treu bleiben. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, uns bereits vor dem Besuch mit den Influencern im Detail auszutauschen und die Erwartungshaltung beider Seiten zu definieren. Das ist zwar aufwendig, beugt aber Missverständnissen vor. Für mich ist es immer wieder schön zu sehen, dass trotz der digitalen Welt, in der der Influencer lebt, eine analoge Beziehung aufgebaut wird. Sie werden zu Botschaftern und zu Fans. Manche schreiben uns auch heute noch, wenn sie in anderen Hotels etwas entdecken, das für uns interessant sein könnte. Grundsätzlich können wir sagen, dass wir uns heute mitunter dank des Videos in einer wirtschaftlich sehr komfortablen Lage befinden, die viele Fünf-Sterne-Hotels erst nach viel längerer Zeit erreichen – wenn überhaupt. Das erlaubt es uns natürlich, weiterhin ins Produkt und die Infrastruktur zu investieren, damit wir die hohe Qualität auf allen Ebenen aufrechterhalten können.

Interview: Jonathan Spirig, Travelcontent
Bilder: ZvG

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