Ist Bio Gastronomie-tauglich?

27. September 2021

Nachhaltigkeit und Bio sind in aller Munde. Trotzdem finden Bio-Lebensmittel nur sehr zaghaft Eingang in die Gastronomie. Um der Frage nachzugehen, weshalb das so ist, begleiten Bio Suisse und marmite professional in den nächsten Wochen zwei unterschiedliche Gastrobetriebe, die nachhaltiger werden wollen. In der ersten Episode werden die Protagonisten vorgestellt.

Oft hört man, dass es sehr komplex und schwierig sei, an Bio-Ware zu gelangen. Oder dass Bio halt viel teurer sei als konventionell produzierte Ware. Die Gegenfrage von Bio Suisse lautet: Wenn der Gast nachhaltige Produkte auf seinem Teller erwartet und erst noch bereit ist, dafür zu bezahlen, weshalb wagen Gastronomen nicht mehr?

Zugegeben, in der Praxis ist es oft schwierig, Bio-Produkte zu beschaffen. Und auch die Umsetzung, bis die Produkte schliesslich auf den Gästeteller gelangen, ist nicht immer ganz einfach.


Das Projekt


In einer siebenteiligen Serie begleiten Bio Suisse und marmite professional deshalb in den nächsten Wochen zwei ganz unterschiedliche Gastrobetriebe, ein Altersheim in im luzernischen St. Urban und ein hippes, urbanes Gastrounternehmen in der Stadt Bern:

Das Alters- und Pflegeheim Murhof und die KG-Gastrokultur möchten beide ihren Betrieb nachhaltiger gestalten. Mit dieser Serie soll aufgezeigt werden, was das für die Verantwortlichen im beruflichen Alltag bedeutet und wo die konkreten Herausforderungen liegen, die auf dem Weg dahin gemeistert werden müssen.

Wir besuchen Lieferanten, hinterfragen die Konsequenzen für die Menüplanung und den Bezug der Ware. Und wir stellen auch kritische Fragen. Denn wir möchten auch Vorurteile aus dem Weg räumen. Wie zum Beispiel dieses, dass Bio in der Gastronomie automatisch heisst, dass jedes Produkt Bio sein muss. Das ist nicht korrekt. Denn als Wirt kann man auch mit nur einem Bio-Produkt beginnen. Das ist ja auch schon ein Anfang!


Die Protagonisten


Alters- und Pflegeheim Murhof, St. Urban
Das Alters- und Pflegeheim Murhof in St. Urban.

Der Murhof ist eingebettet in die hügelige, voralpine Landschaft rund um St. Urban im Kanton Luzern. Das Alters- und Pflegeheim funktioniert fast wie eine kleine Familie. 90 Mitarbeitende kümmern sich um 58 Bewohnerinnen und Bewohner. Und auch die Leitung ist eine Familienangelegenheit:

Sie liegt in den Händen von Hansueli und Ueli Eggimann, Vater und Sohn nota bene. Wie es dazu kommt, dass sich der Betrieb 100 Prozent zu Bio bekennen möchte, werden wir in unserer Serie beleuchten. Die Grundhaltung der beiden Institutsleiter haben wir in einem Interview mit den Eggimanns eingefangen:

Ueli und Hansueli Eggimann, können Ihre Bewohner «Bio» erschmecken oder schätzen sie ganz einfach die hohe Qualität der Speisen?

Ueli Eggimann (UE): Für die Bewohner steht Bio nicht im Zentrum. Sie sind interessiert, was es gibt, und das muss schmecken …

Hansueli Eggimann (HUE): … ausserdem sind die meisten unserer Bauern in der Umgebung Bio und Demeter. So können wir einen Bezug schaffen. Man kennt sich in der Region und die Bewohner kennen die Höfe. Das weckt Erinnerungen, schafft Beziehung und ein wohliges Gefühl.

UE: Darüber hinaus ist Nachhaltigkeit und Bio ein Teil unserer Marketingstrategie: Wir müssen im Gespräch bleiben und möchten uns damit auch von Mitbewerbern abheben.

Wo sehen Sie weitere Vorteile?

UE: Ein stimmiges Verpflegungskonzept ist insbesondere auch für die Angehörigen von Bedeutung. Sie möchten Ihren Liebsten damit etwas gutes Tun.

HUE: Und dennoch, einige Angehörige finden Bio einen «Gugus», Regionalität ist ihnen viel wichtiger. Denn wie gesagt, man kennt sich: aus der Politik, dem Verein oder von der Arbeit.

Erwarten Sie auch Stolpersteine auf dem Weg zu Bio – oder: was braucht es für ein gutes Gelingen?

UE: Bio ist mehr wert, und diese Zusatzkosten müssen wir abfedern. Darum planen wir eine vorsichtige, langfristige Einführung und setzen auf regionale Direktvermarkter. So erhalten wir praktisch die gleichen Preise wie für konventionelle Produkte. Wir gehen Schritt für Schritt vor, wir wollen den Bogen nicht gleich überspannen und auch die Bauern nicht überfordern.

HUE: Es braucht auch das Engagement der Mitarbeiter: der kritische Küchenchef – als Beispiel – und sein Team müssen überzeugt sein. Und auch die Pflegenden betrachten wir als Botschafter des Konzeptes. Darüber hinaus braucht es Weggefährten und ein Netzwerk: Menschen die eine ähnliche oder …

UE: … ich würde eher sagen ergänzende Melodie spielen. Die zweite und dritte Stimme sozusagen.

Was macht für Sie ganz persönlich ein gutes Essen aus?

HUE: Eine gute Mahlzeit ist Quelle der Regeneration und Lebensfreude – am liebsten mit einem guten Glas Wein.

UE: Genau, und auch ein Moment der Inspiration und Kreativität.

Wie gesagt, Sie streben die Knospe-Zertifizierung Ihrer Küche an; was erhoffen Sie sich von diesem Prozess?

UE: Die Knospe ist ohne Zweifel ein Qualitätslabel mit einer positiven Aussenwahrnehmung. Wir können über die Fortschritte berichten und so auch unsere Sichtbarkeit erhöhen.

HUE: Mir gefällt die Konsequenz: es gibt eine lückenlose Kontrolle, und wir sind rechenschaftspflichtig gegenüber unserem Tun. Die Marke hat eine gute Ausstrahlung und ist glaubwürdig. Ausserdem erhoffen wir uns Impulse und Inspiration aus der Bio-Szene in Form von neuen Produkten zum Beispiel. Und bei Demeter wird es sogar seelisch-feinstofflich, die geistige Welt ist also ebenfalls miteinbezogen.

UE: Genau, diese ganzheitliche Sichtweise gefällt uns: Pflanzen, Tiere und Menschen als ein ausgewogenes System.

Weitere Informationen zum Alters- und Pflegeheim Murhof in Sursee finden Sie unter murhof.ch


KG Gastrokultur, Bern
Das Marzer Gärtli ist nur eines von sechs Betrieben der KG Gastrokultur in Bern.

Die KG Gastrokultur trägt ihre Philosophie im Namen: es geht bei Michel Gygax und seinen drei Mit-Betreibern nämlich nicht nur um Gastronomie, sondern auch um Kultur. Denn für alle vier ist ganz logisch: «Gastronomen sind auch Kulturschaffende.»

Heute betreibt die KG Gastrokultur sechs Betriebe in der Stadt Bern und deren näheren Umgebung sowie eine Weinhandlung. Nachhaltiges Wirtschaften ist nebst der angestrebten «Gastro-Kultur» seit der Gründung Teil des Programmes. So wichtig, dass im Firmenkonzept die traditionelle Definition der Nachhaltigkeit mit drei Säulen (Ökologie, Ökonomie, Wirtschaftlichkeit) um eine vierte ergänzt wurde: die kulturelle Identität.

Bio-Produkte sind wichtig; weitere Kriterien und Parameter spielen aber ebenfalls eine zentrale Rolle. In der Zusammenarbeit mit Bio Suisse und marmite wollen sie sich mutig auf den Weg machen und gemeinsam Lieferanten besuchen, Logistik, Auslobung und weitere wichtige Punkte kritisch angehen: Denn sie fragen sich, wie man mehr Nachhaltigkeit erreichen, mehr Bio-Produkte verwenden und dies alles in Einklang mit dem Konzept und der Wirtschaftlichkeit bringen kann.

marmite professional stellte Michael Gygax, Gründungsmitglied der KG Gastrokultur in Bern, vier Fragen:

Michael Gygax, Mitbegründer KG Gastrokultur, Bern.

Michael Gygax, als Jungbanker haben sie vor 14 Jahren einen Karrierewandel gemacht und sich für die Gastronomie entschieden. Was bewegte Sie zu diesem Schritt?

Michael Gygax: Ich möchte Orte entwickeln, die nicht nur wirtschaften, sondern auch ein politisches Statement senden. Nicht im parteipolitischen Sinne, vielmehr mit einem Bild, wie die Welt (auch) sein könnte.

Wieso wollen Sie gerade jetzt noch mehr Nachhaltigkeit in Ihre Betriebe bringen?

Mit sechs Betrieben und 50 Angestellten haben wir eine gewisse Grösse und Stabilität erreicht. Die Voraussetzung ist da, unsere Anstrengungen zur Erhöhung der Nachhaltigkeit zu verstärken. Wir versuchen schrittweise, besser zu werden. Und nehmen, wenn möglich, unsere Lieferanten mit auf die Reise.

Welche Spannungsfelder erwarten Sie, wenn sie an mehr Bio denken?

Manchmal würden wir uns gerne Bio-Produkte wünschen, aber unsere langjährigen Lieferanten haben konventionelle Produkte. Wie geht man damit um? Die langjährigen Beziehungen, der soziale Aspekt also, ist uns auch sehr wichtig. Grundsätzlich sagen wir Bio ja, aber nicht immer. Wir möchten auch nicht elitär wirken. Das ganze Konzept muss stimmig sein

Was möchten Sie in der Gastronomie bewirken?

Wir erleben, dass die Gastronomie als soziale Institution in Verlorenheit geraten ist. Dem möchten wir entgegenwirken. Zum Beispiel möchten wir mit dem Stammtisch eine Institution, die es leider so immer weniger gibt, neu beleben. Wir wollen dazu zeitgenössische Alternativen schaffen – getreu unserem Leitbild, mehr Kultur in die Gastronomie zu bringen.

Weitere Informationen zur KG Gastrokultur in Bern finden Sie unter kggastrokultur.ch/about

Das Führungs-Quartett der KG Gastrokultur.

Bio Suisse

Bio Suisse ist der Dachverband der Schweizer Knospe-Betriebe und Eigentümerin der eingetragenen Marke Knospe. Die Träger*innen sind knapp 7500 Knospe-Bäuerinnen und Bauern und Knospe-Gärtnerinnen und -Gärtner, die in 32 Mitgliedorganisationen organisiert sind. Bio Suisse bietet der Gastronomie derzeit drei Möglichkeiten, mit der Knospe zu arbeiten. Doch nur wenige Gastronomen nutzen diese im Moment. In der Gemeinschaftsgastronomie hat Bio Suisse deshalb eine Offensive lanciert. Die damit neu geschaffenen Möglichkeiten sollten aber allen Gastronomen zugutekommen.

bio-suisse.ch


Was kommt als Nächstes?


In der nächsten Ausgabe widmen wir uns den Anpassungen, die für den Einsatz von mehr Bio-Produkten im Betrieb nötig sind. Dabei stellen sich insbesondere zwei Fragen: Kann ich mit meinen angestammten Lieferanten weiterarbeiten? Soll ich auf langjährige Beziehungen verzichten?

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