Das Ding mit dem Twist
Bei der Mariage von Tradition und Moderne kann vieles schiefgehen. Fünf gelungene Beispiele – inklusive Tipps und Warnungen.
Wo Tradition auf Moderne trifft. Wir verbinden Tradition mit Moderne. Traditionelle Küche mit modernem Twist. Blablabla. Oft gehört, selten genossen. Meistens beschreiben diese Worte den hehren, aber zum Scheitern verurteilten Versuch, die Welt neu zu erfinden. Ziemlich selten sind diese Phrasen ein Garant für gekonnte Auseinandersetzung mit dem, was schon da und gut war, und clever in die Moderne getragen werden soll. Das Erfolgsrezept zwischen der Vermählung zwischen Altem und Neuem?


«Unsere Inspiration kommt aus acht kulinarisch reichen Regionen der Türkei», heisst es auf der Website des Zürcher Restaurants Gül. «Jede Region bringt ihre Aromen, Techniken und Geschichten mit – wir lassen sie mit Respekt und Neugier in unsere Gerichte einfliessen.» Gül-Chefin Elif Oskan vertieft: «Man muss sich bewusst sein, dass Tradition eine emotionale Geschichte ist. Uralte Gerichte und Konzepte aufpeppen – das ist heikel.» Am wichtigsten sei dabei das Beibehalten des Geschmacks. «Der muss vertraut sein.» In orientalischen Küchen gibt es Gerichte, die man zwar vom Anrichten her oder etwa punkto Leichtigkeit neu interpretieren kann, duften und schmecken muss es aber wie eh und je. Und aufgepasst mit Klassikern. «Ein Lahmacun ist grossartig – was soll ich da ändern?» Lieber kreiert Oskan eine Vegi-Option, den Vegacun mit würziger Gemüsepaste statt Lammhack.
Iznik-Keramik an den Wänden, anatolische Musik, Kupferelemente, grüner Marmor aus der Türkei und der grosse Holzkohleofen auf der einen, moderne Stühle, zurückhaltende Farben und eine erfrischende Anrichte auf den Tellern auf der anderen Seite. «Bitte kein Folklore-Overkill», mahnt Oskan, die ihr Know-how über die türkische Küche nicht nur von zu Hause mitbringt, sondern auch von zahlreichen Reisen durchs Land. Ihre berufliche Karriere startete sie mit klassisch französischer Küche. Und so schafft sie es nicht nur, türkische Gerichte zu modernisieren, sondern auch französischen Gerichten einen türkischen Touch zu verleihen. «Die Muschelvelouté setze ich ganz klassisch an, schmecke sie aber türkisch ab: mit Tomatensalça und Minze anstelle einer Mayo-Sauce. Und mit Joghurt statt Rahm.»


Das Konzept ihres Partners Markus Stöckle im Zürcher Rosi ist ein bayrisches Neo-Wirtshaus. Bayrische Wirtshauskultur neu interpretieren – mutig. «Ich muss die Gastro-Geschichte von damals kennen, um daraus Schlüsse zu ziehen», sagt Stöckle. Nur wenige Gastronomen sind derart belesen, geschichtlich und kulturell bewandt wie der Koch aus Bayern. «Sollte man an Altem festhalten? Soll man Mauern durchbrechen? Soll man alles wortwörtlich nehmen oder soll man Worte als Inspiration sehen?» Es klingt philosophisch, wenn Stöckle über Tradition versus Moderne spricht. Und doch wird beim Besuch im Rosi klar: Der Geschmack steht über jeder noch so verrückten Idee. Eine salzige Fotzelschnitte isst man zwar heute kaum mehr; früher, so Stöckle, gab es die jedoch in vielen bayrischen Kochbüchern. Die Rosi-Variante namens «Armer Ritter 1866» ist mit Flusskrebsen und Zürichsee-Muscheln belegt, das Brot in einer Bisque getränkt. Nirgends erlebt der Gast an einem Abend einen derart intensiven Mix aus vertrauten Umarmungen und frechen Überraschungen wie im Rosi.
Neugierig, welche ursprüngliche Zutat (nicht Walnüsse!) in die Nusstorte gehört, wo man sie geniessen kann und warum sie sogar für Nussallergiker ein Segen ist? Lesen Sie weiter im neusten marmite professional, wie Gastronomen von Zürich bis ins Engadin den Balanceakt zwischen Authentizität und Innovation meistern – von Sushi bis zum eingelegten Zander, vom Puschlaver Ringbrot bis zu Pizokel.
Text: Benny Epstein
Fotos: ZVG
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